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Wer heute ein modernes Auto fährt, kennt das Szenario: Überall blinkt es, piepst es – und bevormundet uns gefühlt ständig.

Viele stellen sich die Frage, ob die Autohersteller eigentlich den Verstand verloren haben. Doch schuld sind nicht die Hersteller, sondern die EU. Deren Gesetze, die auch in der Schweiz übernommen wurden, schreiben eine Vielzahl von Assistenzsystemen vor.
Frust Geschwindigkeitswarner (ISA)
Einer der meistgehassten Helfer: der Geschwindigkeitswarner, offiziell «Intelligent Speed Assistance» (ISA). Er soll dafür sorgen, dass wir uns an Tempolimits halten. Doch in der Praxis funktioniert das oft nur mässig.
«Gerade bei der Tempolimite ist es schwierig auf der Strasse zu erkennen, wie schnell man fahren darf», erklärt Raphael Murri, Professor für Fahrzeugsicherheit an der Berner Fachhochschule BFH. «Die Signalisation ist nicht einheitlich und manchmal verwirrlich. Dann gibt es dynamische Anzeigen, je nach Verkehrsfluss. Da kann man sich auch nicht einfach auf Datenmaterial von Karten stützen. Und dann stellt man sich vor, dass dies eine Maschine interpretieren muss – dann wird es schwierig.»

Viele Autofahrerinnen und Autofahrer schalten die nervigen Warnsignale darum einfach aus – zumindest so gut es geht. «Wenn Warnungen aus unserer Perspektive heraus ungerechtfertigt kommen, und wir haben die Chance, es auszuschalten, dann schalten wir es aus», sagt Markus Hackenfort, Professor für Human Factors Psychology an der ZHAW.
«Damit ist natürlich die Gefahr da, dass wir in Situationen, in denen wir es bräuchten, nicht gewarnt werden.»
Technik ist nicht alles
Für Hackenfort liegt das eigentliche Problem gar nicht in der Technik. «Wir haben da eine technische Lösung für ein Problem gefunden, das keine technische Ursache hat», sagt er.
«Viele Leute fahren ganz bewusst zu schnell. Für die ist, der Hinweis nicht fürchterlich nützlich. Denen ist klar, sie sind zu schnell unterwegs, trotzdem bleiben sie bei der Geschwindigkeit. Der Warnton alleine wird da wenig verändern.»

Stattdessen müssten die Menschen stärker für die Gefahren sensibilisiert werden. «Viele haben den Eindruck: Ist ja auch nicht so schlimm. Wir wissen oft nicht, dass kleine Geschwindigkeitsunterschiede massive Folgen haben. Wenn die Leute dafür nicht sensibilisiert sind, versuchen sie, das System auszutricksen.»
Pflicht bleibt Pflicht
Ganz ausschalten lassen sich Assistenzsysteme aber nur bedingt. Raphael Murri betont: «Die Assistenzsysteme, die wirklich Pflicht sind, die für die Homologation eines Fahrzeugs vorgeschrieben sind, kann man nicht generell ausschalten. Beim nächsten Losfahren werden sie wieder aktiviert.»

Das führt zu einer paradoxen Situation: Um die Systeme jedes Mal zu deaktivieren, müssen Fahrerinnen und Fahrer sich durch Menüs klicken – und sind dabei kurz unaufmerksam.
Die Folge: Ein System, das eigentlich für mehr Sicherheit sorgen soll, kann das Fahren sogar unsicherer machen.
Ein System überzeugt
Immerhin: Ein Assistenzsystem überzeugt die Experten – das automatische Notbremssystem. «Das einzige System, bei dem wir im Moment wirklich klare Anzeichen haben, dass es Unfälle reduziert, ist das automatische Notbremssystem», so Hackenfort. «Aber das ist je nach Hersteller sehr unterschiedlich.»

Wer nun hofft, dass der umstrittene Geschwindigkeitswarner wieder verschwindet, irrt sich: «Das ist das, was wir ganz generell bei technologischen Entwicklungen sehen», sagt Hackenfort. «Zunächst kommt es als Empfehlung daher, dann als Vorschrift, die ich vielleicht überstimmen kann – aber dann irgendwann nicht mehr.»
Und Murri ergänzt: «Wenn man sieht, das System funktioniert gut und die Akzeptanz ist da, dann kommt der Schalter weg.»

Die Experten sind sich einig: Je besser und zuverlässiger die Technik wird, desto weniger Ausweichmöglichkeiten wird es geben. «Das Ende vom Lied könnte durchaus sein: Innerorts kann man nicht mehr schneller als 30 oder 50 km/h fahren», so Hackenfort.
Bis es so weit ist, bleibt nur zu hoffen, dass die Systeme technisch bald besser funktionieren – und uns im Idealfall gar nicht mehr auffallen.